An der Börse beschäftigen Inflationssorgen die Anleger. Sie haben Angst um ihr Geld. Gleichzeitig jedoch markiert der DAX ein neues Allzeithoch. Diese Entwicklung ist zunächst verwunderlich, doch bei näherer Betrachtung verständlich. Am Finanzmarkt gibt es nämlich nicht nur eine Betrachtungsweise. Es ist wie mit einem Würfel, je nachdem welche Seite man ansieht, erhält der Anleger verschiedene Ansichten. Wie also passen Inflation, steigende Zinsen, Zentralbanken und Aktienkurse zusammen?
Nach einem fulminanten Start in das Börsenjahr 2021 müssen sich die Marktteilnehmer mit steigenden Anleihezinsen auseinandersetzen. Besonders unter Beobachtung stehen dabei die zehnjährigen Staatsanleihen der USA (US-Bonds). Sie sind sozusagen der Taktgeber. Staaten, nicht nur die USA, haben zur Bekämpfen der Coronakrise Milliarden und manche auch Billionen mobilisiert. Das sind Gelder, die sie nicht in der Kasse haben und auch nirgendwo einsparen. Das ist neues Geld, das die Zentralbanken aus dem Computer zaubern.
Natürlich gibt es Geld nicht geschenkt. Ansonsten bräuchte niemand arbeiten gehen und Unternehmen nicht um Marktanteile kämpfen. Jedes Land würde neue Geldscheine drucken (bzw. aus dem Computer erschaffen) und schön wär’s. Es gibt extreme Beispiele, wie das afrikanische Land Simbabwe, die endlos Geld gedruckt haben. Es hat nicht funktioniert. Die Sache mit dem paradiesischen Zustand ist also nicht möglich.
Damit ein Staat seinen Haushalt finanzieren kann, gibt er u.a. Staatsanleihen aus. Das sind Versprechen, in der Zukunft das geliehene Geld dem Investor wieder zurückzugeben und ihm in dieser Zeit regelmäßig Zinsen zu zahlen. Die Käufer dieser Staatsanleihen verfolgen die aktuell enorm steigenden Schuldenberge der Staaten und werden unruhig. Wer soll das alles zurückzahlen? Um das gestiegene Risiko auszugleichen fordern sie höhere Zinsen. Höhere Zinsen wollen die Staaten aber nicht bezahlen, weil sie ja klamm sind bzw. sie müssten sich dann noch mehr Geld leihen, was natürlich die Sache noch komplizierter machen würde. Im Prinzip jedoch ist es ganz normal, dass Investoren für ein höheres Risiko auch höhere Zinsen fordern.
Diese Rechnung ist jedoch ohne den Wirt gemacht. Denn es sind ja nicht nur Staaten verschuldet, sondern ein Großteil der Wirtschaft ebenfalls. Sie sind alle auf billiges Geld angewiesen, damit sich der Kreislauf der Wirtschaft, die ja immer wachsen will, weiter drehen kann. Anders ausgedrückt: Keiner der Beteiligten kann steigende Zinsen gebrauchen. Damit gelingt uns der Bogen zur Börse. Wenn die Renditen für Anleihen steigen, dann können Anleger ihr Geld bei Aktien abziehen und bei Anleihen anlegen. Das bedeutet weniger Geld steht für den Aktienmarkt zur Verfügung. Wer sein Geld abzieht, der verkauft seine Wertpapiere und das führt zu Verkaufsdruck.
Gleichzeitig haben sich die Käufer der Aktien Hoffnungen auf Profite in der Zukunft gemacht. Ein Unternehmen, das heute Schulden macht und wächst, wollte ja irgendwann einmal ordentliche Gewinne machen. Diese Hoffnung trübt sich bei steigenden Zinsen ein, da dieses Unternehmen ja noch nicht die Ziellinie erreicht hat und eventuell noch scheitern kann. Diese Aktien sind dann als riskant zu werten und Verkäufer veräußern lieber ihre Anteile. Nehmen wir an, die Aktionäre glauben doch an ihr (investiertes) Unternehmen, dann sind die zukünftigen Gewinne bei einem steigenden Zinsniveau nicht mehr so toll, wie ursprünglich beim Aktienkauf gerechnet wurde. Auch das wird neue Käufer an der Börse zurückhalten. Übergeordnet machen steigende Zinsen die Aktienanlage weniger attraktiv.
Warum also stiegen dann DAX und andere Indizes auf Allzeithochs? Zunächst ist der Prozess von steigenden Zinsen noch im Anfangsstadium. Diese Sorge ist noch nicht sehr gefestigt, sodass die Mehrheit nicht sofort die Börsen verlässt. Nur die erfahrenen und die institutionellen Anleger beschäftigen sich in diesem Stadium mit den dunklen Wolken, die da am Börsenhimmel aufziehen. Zudem ist die Stimmung extrem positiv an den Börsen. Nach 12 Jahren steigender Kurse glaubt kaum noch irgendwer, dass die Aktienkurse jemals sinken werden. Schon viel zu oft gab es in den letzten Jahren Warnungen und die Börsenkurse sind immer weiter geklettert.
Und da sind dann natürlich auch die Zentralbanken wie die EZB oder die FED, die sofort verbal oder tatkräftig zur Stelle sind. Sie verhindern einen Anstieg der Anleihezinsen, indem sie in den Markt reinpfuschen. Wenn die EZB viele Anleihen am Markt kauft, dann ist ausreichend Nachfrage vorhanden und die Investoren können nicht mehr ihre tatsächlichen Forderungen (höhere Verzinsung) durchsetzen. Zudem gibt es manche Marktteilnehmer, die Aktien als Inflationsschutz betrachten. Sie bleiben weiter investiert und hoffen, dass auch nach einer Inflationsphase ihre Aktien einen gewissen Wert haben (was Papiergeld dann nicht mehr hat). Aus der Summe dieser Punkte lässt sich verstehen, warum die Aktienkäufer nicht so leicht von der Börse ablassen wollen.
Aber auch die Bekämpfung der steigenden Zinsen durch die Zentralbanken ist nicht umsonst zu haben. Die Zentralbanken müssen bei solchen Maßnahmen wieder Geld drucken, wieder wird die Kaufkraft des einzelnen Scheins (EUR/USD) abgewertet. Wieder nimmt die Verschuldung zu. Wieder ist der Ausgang solcher Markteingriffe ungewiss. Wenn Anleger heute beim Ankauf von Anleihen ihr Geld verleihen, um es in zehn Jahren wieder zurückzuerhalten, dann machen sie sich berechtigt Sorgen. Was wird das wieder erhaltene Geld in der Zukunft wert sein? Folglich wollen die Investoren dieses Risiko mit höheren Zinsen ausgleichen.
Ein Teufelskreis hat sich am Finanzmarkt in Gang gesetzt aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Markteingriffe der Zentralbanken und die lange Niedrigzinsphase waren ein Fehler. Sie hat zum Aussetzen der normalen Zinsfunktion geführt, nämlich dass Risiken realistisch abgebildet werden. Investoren werden jetzt nicht nachgeben. In der Zukunft ist von steigenden Marktzinsen auszugehen. Das gilt nicht nur für die Anleihen, sondern auch für Konsumenten- oder Immobilienkredite. Da die Zentralbanken ein höheres Zinsniveau verhindern wollen wird es zu einer finalen Auseinandersetzung zwischen allen Beteiligten kommen.
Am Anfang wurde das Beispiel des Würfels erwähnt. Wenn es um den Finanzmarkt geht, dann gibt es immer viele Betrachtungsmöglichkeiten. Jede hat einen Einfluss auf die Märkte und verursacht Folgeentwicklungen. Zum Beispiel werden bei steigenden Zinsen Aktien weniger attraktiv, die Immobilienpreise sinken und Konsumentenkredite werden teurer. Das wiederum hat an anderer Stelle Auswirkungen. Eine Erklärung was Geld ist und einen Ausblick lesen sie in dem Sachbuch „Verstehen Sie Geld?“ (mehr erfahren).
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
start-trading Team